Ein Rucksack voll mit Thesen, Fragen und heterogenem Wissen

Ein Rucksack voll mit Thesen, Fragen und heterogenem Wissen

By Sophie Raehme

Praktikantin

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

CAPAZ 2017 Winter School – Colombia: Territorial Peace

Am 26. November 2017 kam ich in Bogotá mit einem Rucksack voll mit Thesen und Fragen an. Als eine von vier deutschen Stipendiatinnen und als Praktikantin der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) nahm ich zusammen mit zahlreichen Studierenden, AktivistInnen und Konstrukteuren des Friedens aus unterschiedlichen Regionen Kolumbiens vom 27.11. bis 1.2.2017 an der von CAPAZ organisierten Winterschule zum Thema territorialer Frieden in Kolumbien teil. Orte des Austausches waren fünf verschiedene Universitäten in Bogotá.

 

Unser Thema war das Konzept des territorialen Friedens, des Friedens, der aus den Territorien und Regionen Kolumbiens kommt. Das Konzept des territorialen Friedens, das den verhandelten Vertragsfrieden „von oben“ mit dem „von unten“ zu komplementieren sucht, klang in seinen herrschaftskritischen Facetten in den Beiträgen der Teilnehmenden und auch in den Vorträgen verschiedener WissenschaftlerInnen wiederholt an. So scheint Frieden als„ein Produkt“ dem zu widersprechen, was indigene Gemeinschaften und afrokolumbianische Gruppen im ländlichen Kolumbien bereits seit Jahrzehnten in der Praxis konstruieren und verteidigen. Frieden in seiner Multiplizität diverser und polyphoner regionaler Friedenskonstrukte hingegen nimmt diese praktischen Ideen auf.

 

Durch den Besuch der Winterschool wurde ich Teil eines größeren Projekts, das transnationalen und interdisziplinären Austausch zum Thema Frieden über Netzwerke der Zusammenarbeit zwischen dem Wissen aus der Wissenschaft und dem aus der friedensaktivistischen Praxis in Kolumbien zu schaffen sucht. Als Soziologieabsolventin und Studentin der Friedens- und Konfliktforschung ermöglichte mir die Escuela de Invierno an einem für mich einzigartigen Reflexionsaustausch teilzunehmen, der wissenschafts-praktisch fruchtbare Begegnungen zuließ. Auch persönlich hat mir dieser Austausch wertvolle Freundschaften ermöglicht.

 

Darüber hinaus verdeutlichten mir die Diskussionen auch wie wichtig die gemeinsame wissenschaftspraktische De-konstruktion von hegemonialen Forschungsansätzen innerhalb globalisierender Wissensproduktion im Rahmen des Paradigmas zum neo-liberalen Frieden ist. Besonders die Frage, die eine der Forscherinnen in Bezug auf die territoriale Konstruktion von Friedensprozessen in Kolumbien und die Gewalt an ethnischen Gruppen formulierte, nämlich, ob der mit einhergehende Kapitalismus in Kolumbien ethno-rassistisch sei, warf neben einem langen Echo viele weitere Fragen auf: Fragen nach der Zeitlichkeit von Gewalt, Frieden und Gerechtigkeit in Übergangsjustizprozessen. Fragen, nach der Art und Weise von Vergangenheitsaufarbeitung, die nicht nur in die Zukunft blickt sondern sich postkolonial- kritisch mit historischen Verletzungen und langewirkender Gewalt auseinandersetzt. Fragen, die uns auch als ausländische Gast-WissenschaftlerInnen, ForscherInnen oder Studierende zwingen, unsere Rollen neu zu überdenken. Ein Fragenkontinuum also, das die Relevanz von globalem Wissenstransfer und Diffraktionen im Ideenaustausch über Frieden und Konflikte betont.

 

Ich danke CAPAZ nachdrücklich für diese Erfahrungen. Mit dem Bestreben als Entendedora de Paz wieder zurückzukehren, war bei meiner Abreise mein Rucksack noch schwerer, denn neben guten kolumbianischen Kaffee enthielt er neue Thesen, neue Fragen und neues Wissen.